Wir brauchten jemanden mit Muskeln. Vielen Muskeln. Lächerlich vielen Muskeln. Wir brauchten jemanden mit Muskelbergen … bei dem Wort „Berg“ machte es „Klick“. In unserer Branche ist es wichtig, dass Sie erste Impulse nicht zensieren. Unterdrücken Sie Ihre Ideen nicht! Auch wenn sie vielleicht abwegig erscheinen! Gerade die spontanen Einfälle sind meist in massenkommunikativer Hinsicht die wirkungsvollsten.
Deshalb, das muss man ehrlich sagen, ist auch so viel Mist in Umlauf in der Werbung.
Warum brauchten wir überhaupt solch ein Übermaß an Muskeln? Weil wir für unsere Webseite einen, wie soll man sagen: Signature Film drehen wollten. Einen Film, in dem Herkules, unser Wappentier, wenn Sie so wollen, sich das Löwenfell über den Kopf zieht, das mehr als Hälfte unseres Firmenlogos bedeckt. Dieser Film sollte unterhalten – und erklären, was es mit unserem Logo auf sich hat.
Wie auch immer: Muskelberge, Muskeln, Berge: Ich schrieb Arnold Schwarzenegger an. Ehrlich gesagt, weil ich hoffte, dass er als gebürtiger Steiermärker noch genügend Deutsch verstand, um meine Mail lesen zu können. Ich traute mir nicht zu, ein englisches Anschreiben zu verfassen, dass unsere Intentionen und Erwartungen an die Rolle lupenrein auf den Punkt bringen würde. Wahrscheinlich würde mein Englisch es eher auf eine ziemlich schlüpfrige Linie bringen, mit der wir dann glitschschnell zur Talfahrt antraten …
„Dear Mr Schwarzenegger“, fing ich an.
Dann: „Wir sind große Bewunderer Ihrer Filmkunst. Von ‚Conan‘ bis zum ‚Terminator‘ hat vielleicht niemand herkulische Kraft im Kino so glaubwürdig und eindrucksvoll verkörpert wie Sie mit Ihren wunderbar elastischen und plastischen Muskelbergen.“
Beim Tippen trank ich drei Bier, die ein Nachbar als Begrüßungsgeschenk in unserem Agentur-Kühlschrank deponiert hatte.
„Hoppla!“, kommentierte KJ, als ich das zweite Kanone Hell aufmachte.
Als ich die dritte Flasche öffnete, sah sie nur stumm zu. Ich riss nämlich den Kronkorken mit den Zähnen ab. Dabei verlor ich ein Stückchen Schneidezahn. Nun ja. Wenn es für einen guten Zweck, beispielsweise die Filmgeschichte, ist. Das Blut spuckte ich aufs Agenturparkett. Ich war einfach sehr euphorisch. Ich stellte mir vor, wie Arnold Schwarzenegger zum ersten Mal durch die Tür unseres Agenturgebäudes marschieren würde. Er würde die Sonnenbrille abnehmen, sich langsam umsehen und …
„Einen schwarzen Kaffee, Mr. Governor?“ Mit diesen Worten würde ich ihn begrüßen. Ich kicherte in mich hinein. Hintergründig, diese Frage, durchblicken lassend, dass wir uns eingehend mit seinem politischen Background beschäftigt hatten, zugleich dezent anspielend auf seine liberalen demokratischen Überzeugungen.
„Heute haben wir ein Angebot für Sie, das Sie kaum ausschlagen können“, schrieb ich. „Wir möchten, dass Sie spielen. Und Ihre Muskeln spielen lassen. Wie nur Sie das können. Oscarreif. Die Geschichte, die wir erzählen wollen, kennen Sie natürlich, als gebildeter Mensch, als Filmschaffender, als kulturelle Ikone. Als Österreicher. Es ist eine Geschichte, die älter ist als die Geschichte unser beider Länder zusammen …“
In unserem Herkules-Film würde es nämlich richtig zur Sache gehen: Herkules skalpiert nach hartem Fight den Nemeischen Löwen. Das Problem: Den Nemeischen Löwen kann man eigentlich gar nicht besiegen. Er ist unverwundbar. Nur einer hat den Schneid, sich dieser Aufgabe zu stellen: der Sohn des Zeus. Ein Halbgott. Ein Superstar der Antike.
Aber wie war das mit dieser Story eigentlich noch mal genau?! Die genauen Abläufe hatte ich nicht parat, aber ich wollte Arnie doch einen ungefähren Eindruck von seiner Rolle und unseren Erwartungen geben.
Ich ging also hinüber zu Nandos Büro. Die Schnitt-Butze. Der Schneideraum, das Purgatorium. Nando war gerade dabei, unserem Weihnachtsfilm den letzten Schnitt und Schliff zu verleihen. Auf dem Bildschirm riss mein Söhnchen dem Kaufhausweihnachtsmann ein buntes Päckchen aus der Hand. Ich fragte: „Sag mal, Nando, wie war das noch mal? Diese Geschichte mit dem Löwen?“
„Herkules erwürgt ihn“, erklärte mir Nando geduldig.
Alle Pfeile prallen an diesem Monster von einem Löwen ab. Herkules‘ erste Arbeit. Sein erster Job. Insgesamt bekommt er bekanntlich zwölf Strafarbeiten aufgebrummt. So steht es in den Schulbüchern. Er erledigt sie alle, so viel sei gespoilert. Aber am Nemeischen Löwen prallen sogar die Pfeile Apollons ab, und der hat nun wirklich superspitze Pfeile. Mit denen hatte er schon am Krieg um Troja teilgenommen … aber was google ich da?!
Auch die Keule des Herkules zerbirst am Kopf des Untiers.
„Weil das mit den Mordwerkzeugen nicht klappt“, erklärte Nando, „beschließt unser Heros, den Job in Handarbeit zu erledigen. Er schnappt sich den Löwen und drückt ihm die Luft ab.“
Mit diesen Worten packte Nando mich von hinten, er legte seinen Arm um meinen Hals und drückte, unter Zuhilfenahme seines linken Armes, mit aller Macht meine Kehle zu.
„Wenn du der Löwe wärst, und ich bin Herkules, dann wäre das jetzt das Aus für dich! Dann wäre das nicht das Mittagsgeläut von St. Johannis, sondern dein letztes Stündlein!“
„Zum Glück“, keuchte ich, „bin ich kein Löwe!“
Ich überlegte, wieder in Freiheit, noch ein Bier zu öffnen, war aber zu geschafft. Noch ein Bier würde mich endgültig umhauen. Stattdessen schilderte ich in möglichst einfachen, schnell zu überfliegenden Worten, was wir vom Darsteller des „Kindergarten Cop“ erwarteten.
Als ich auf „Senden“ drückte, war mir klar, dass ich vermutlich nie eine Antwort von Arnold bekommen würde. Vielleicht würde mir sein Büro eine signierte Autogrammkarte zusenden. Per Luftpost. Der Rest würde sich in Luft auflösen. Aber ich hatte mein Möglichstes getan.
Tatsächlich hörte ich nie etwas vom ehemaligen Mr. Universum aus der Steiermark. Wer sich aber meldete: The Rock. Dwayne.Johnson@therealrock.com
Zuerst dachte ich, natürlich, das sei ein Scherz. Irgendein Witzbold … ich schielte zu Nandos Glaskäfig hinüber. Spielte er mir einen Streich? Aber Nando wirkte ganz ernst, fast angespannt. Hm.
The Rock schrieb mir nicht persönlich, versteht sich, sondern sein Agent, ein Michael Ovitz. Mr. Johnson habe von meiner Offerte an Mr. Schwarzenegger gehört, las ich. Über Mr. Pratt. („Chris Pratt?“, fragte ich mich.) Mr. Schwarzenegger, schrieb der Agent süffisant, sei für diese Rolle vielleicht doch „ein paar Jahrzehnte zu reif“. Während Dwayne Johnson geradezu strotze von Power und Zukunft. Und überdies derzeit einen Wahnsinnslauf an den Kinokassen habe, sich vor Box-Office-Erfolgen kaum retten könne!
Das alles war bizarr genug. Konnte das echt sein?! (Ich musste mal unseren Producer, Ali Schmahl von AlefCine Pictures, fragen, ob es in der Branche wirklich so zuging – so schräg, impulsiv, ehrabschneiderisch?) Aber der Agent fuhr fort:
„Mr. Johnson hat sich, wie es seine Art ist, Gedanken gemacht, und er hat einen Vorschlag für Sie. Warum ersetzen wir Herkules nicht durch Herakles? Herakles ist doch viel cooler, findet Mr. Johnson. Zitat: ‚Bei Herkules hab ich gar keine Bilder im Kopf, ehrlich gesagt. Bei Herakles sprudeln die Ideen nur so.‘ Was denken Sie? Wären Sie für diesen Shift von Mittelprächtig zu Überragend zu haben? Dann kämen wir mit großer Wahrscheinlichkeit ins Geschäft! Mr. Johnson freut ich auf Ihre Antwort.“
Ich saß da und starrte auf die Mail auf meinem Bildschirm. Ich fragte mich, was Nando zu diesem Vorschlag sagen würde …