Seven Basic Plots (7): Der alte Mann und das Mehr

Eine Bahnhofsgaststätte irgendwo auf dem Land. Wir schreiben den 16.06., aber das merkt kein Schwein. Es ist ein regnerischer Tag. Schon seit Wochen ist es ein regnerischer Tag. Draußen ziehen Krähen missmutig übers Feld. Offenbar suchen sie den Sommer. Es könnte auch November sein. Das Klima ist verrückt geworden. Und nicht nur das Klima.

Am Nebentisch ist einer über seinem Bier eingepennt. Haare wachsen ihm auf der Nase. Er schnarcht leise.

Ich habe noch 34 Minuten, bis der letzte Zug nach Gun Hill fährt.

Ich habe noch 34 Minuten für das Vorstellungsgespräch, das mein Leben … ändern soll. Oder eher: retten.

Ich will jemanden für need.digital verpflichten, der das Game changen könnte. Ein alter Werbetexter. Früher eine Legende bei Springer & Jacoby, heute kurz vor dem Sprung auf den Jakobsweg. Er hat die Schnauze voll von der Branche. Und wie. Meine Chancen stehen nicht gut. Er lacht, indem er kurz durch die Nase schnaubt.

„Werbung? Die Werbung ist tot. Der Marlboro Man ist an Lungenkrebs verreckt. Der Pistole hat jemand einen Knoten in den Lauf gebogen.* Das war’s. Die Story ist auserzählt. Adland ist so versunken wie Atlantis. Was willst du von mir?“

Der alte Mann nuckelt an seiner Cola und blickt sich feindselig um. Ich staune, wie dick seine Brillengläser sind. Der muss doch so gut wie blind sein!, denke ich. Vermutlich hat er zu viel blendenden Mist gesehen in seinem Leben. Strähnen seines hellblonden Scheitels verschwinden hinter dem Brillengestell.

„Wenn du mich fragst: Die Werbung ist an ihrer Sucht nach Mehr erstickt. Mehr, mehr, immer mehr. Kein Wunder, dass die Leute das nicht mehr hören wollen. Früher war Geiz geil. Heute ist Purpose das neue Billig. Ich versteh’s nicht. Das soll bitte ein jüngeres Hirn kapieren. Ich habe meinen Beitrag zum Untergang des Abendlands geleistet.“

Ich sage etwas Verbindliches, ohne selbst genau zu wissen, was ich rede. Der Mann hat ja Recht! Was kann ich dem hinzufügen?

„Hier in Franken funktioniert Werbung sowieso nicht“, sagt er mürrisch. „Die Leute hier mögen keine Kommunikation. Am allerwenigsten mögen sie Humor. Sie mögen eher das, was Hitler gemacht hat. Apropos: Goebbels war ein begnadeter Texter. Er hat den Leuten einen Krieg verkauft, und sie haben es geliebt.“

So langsam geht mir die Atemluft aus. Wie lange hab ich noch? 20 Minuten? 15? Ein alter Schaffner schmutziger Uniform wankt über den Bahnsteig. Ich muss mir etwas einfallen lassen. Aber mein Kopf ist hermetisch abgedichtet gegen Einfälle.

Also sage ich, wie ein Abwehrspieler einen Ball nach vorne drischt: „Wir wollen ja auch keine Werbung machen.“

Immerhin wird der Alte hellhörig. „Aha? Mit einer Werbeagentur? Keine Werbung? Was wollt ihr dann machen?“

„Wir wollen Kunst, Kino, Kommunikation zusammenfügen. Storytelling.“

„Storytelling? Was heißt das? Romane?“

„Natürlich. Wir haben uns Storytelling auf die Fahne geschrieben. Wir arbeiten an einem Spielfilm, mit einem Drehbuchautor aus Hollywood, einem Profi. Dann werden wir bestimmt auch mal einen Roman …“ Ich improvisiere. „Wir haben jemanden an der Hand, der Lesungen organisiert. Sehr gut vernetzt.“

„Und Lyrik? Was ist damit?“

„Jederzeit willkommen. Ich selbst werde meinen neuen Lyrikband vorstellen. Im März. Eine Book Release Party.“

„Wie wär’s noch mit Musik?“

„Spricht absolut nichts dagegen.“

Er schaut aus dem Fenster. Draußen steigt weißer, dicker Dampf von der Lok auf. Der ganze Bahnsteig ist davon eingehüllt. Düster kreisen die Krähen. Immer noch nieselt der Regen. Ein Landwirt stapft mit schweren Stiefeln über den matschigen Acker.

Ich frage mih, eine jm hopffnffnungsvollen Leuchten in den Augen.prickelnden Welche Bilder da ablaufen. blbbuerubbernden Strahlen Oben liefen Kurzfilme in Endlosschleife., wie in noch feuchte einem Museum. Beisgesiterunisterung, Umarmungen, Tränen. Alles jung, lebendig, zukunfstsprall. Man kommt ins Gespräch mit potenziellen Geldbgebern.Jemand umarmt mich, eine wunderschöne junge Frau in einem grünen Kleidchen. Im Besprechungsraum im ersten Stock eauUnd m Und bald schwimmt man in Geld. DAs mas man eigentlihc jach ja gar nicht will.quierligrligM ..Dann wird getanzt.

Endlich nickch, was er sieht auf der Innenseite r. „Ich bin dabei.“seiner dicken Brillengläser. Ich sehe: ein shäumchäumendes Haus. Open Agency ADalyys. Besucherströme am Abend, Kunstwerke an den Wänden, junge Künstler von der Akademie mit Sektgläsern in der Hand und

Kurz denke ich, ich muss mich übergeben vor Erleichterung. Dann denke ich: Ich heul gleich los. Um mich aus der Verlegenheit zu ziehen, zeige ich nach draußen und sage: „Phantastisch. Wenn du deinen Zug noch erwischen willst …“

Er winkt ab. „Jetzt trinken wir erst mal ein Bier. Was gibt’s hier für welches?“

„Köpi“, sage ich, mit Blick auf die Speisekarte. „König Pilsener.“

Er reißt seine halb blinden Augen auf. „Meine Güte. Hier auf dem Land? Wo es doch so viele einheimische Brauereien gibt? Alles geht den Bach runter …“

Wir reden kurz über den Niedergang der Zeiten. Die Erleichterung, die ich empfinde, fühlt sich an wie Zeppeline im Bauch. Sogar der Nieselregen scheint mir plötzlich ein gutes Zeichen zu sein. Ist doch toll, dass man mal nass wird im Juni?

Unser Köpi kommt. Der alte Texter prostet mir zu. Grinsend. „Und als Nächstes überlegen wir, wie wir unseren Laden an WPP** verkauft bekommen.“

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* Das Agentursymbol der legendären Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby, aus der mehr oder weniger der gesamte deutsche Werbezirkus hervorgegangen ist, war eine schwarze Pistole auf weißem Grund, die auch als Föhn durchgehen könnte.

** WPP, ein britischer Konzern aus Werbedienstleistern und Medienunternehmen, zeitweilig der umsatzstärkste der Welt.

Robert Mattheis