die ExpositiOn

Hi, Folks!

In diesem Post möchte ich euch anhand eines von mir gezeichneten und getexteten Comics eine kurze Einführung in das geben, was ich für die Kunst des Storytellings halte. In diesem ersten Teil widme ich mich der Exposition. Comics halte ich für das ideale Anschauungsobjekt, wenn es um Storytelling im klassischen Sinne geht, da man an ihnen die erzählerischen Mechanismen sehr leicht nachvollziehen kann: Auf der Comicseite hat man sie jederzeit vor Augen.

Kurz zur Einordnung dessen, was ihr gleich zu sehen und zu lesen (entziffern) bekommt: Eine Zeitlang habe ich mit meinem damals neunjährigen Sohn, der Comiczeichner werden will, abends zusammengesessen und gezeichnet. Ich hatte ihm Hefte besorgt, in denen die Panels schon vorgedruckt waren. Zum einen macht das die Sache leichter, weil man nicht mehr mühselig mit Lineal seine Kästchen zeichnen muss, in die man später dann die Bildergeschichte einfügt. Zum anderen ist es eine Klippe, da man seine zeichnerische Dramaturgie an den Vorgaben orientieren muss. In meinem Beruf ist das natürlich kein Problem, weil ich die ganze Zeit mit irgendwelchen verrückten Vorgaben leben muss. Werbetexter zu sein bedeutet, Sätze zu bilden, die genau ins Layout passen.

Hier also der Comic:

Schon im ersten Bild versuche ich, den Leser und die Leserin maximal zu involvieren. Ich halte mich dabei an das, was der US-amerikanische Autor Harry Mathews („Tlooth“, „Zigaretten“) gesagt hat: „I think situations are more important than plot and character.“ Darum will ich mit dem ersten Panel gleich ein Gefühl für die Situation vermitteln, mit der ihr es hier zu tun habt: Ein Junge ist ganz allein zu Haus. Er hört merkwürdige Geräusche. Ängstlich fragt er sich: „Sind das Einbrecher?“

Ich nehme an, dass eure Augen, auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, gleich die Seite abgescannt haben. Und ihr habt Gesichter entdeckt, die eher auf ein „Ja“ schließen lassen. Aber erst einmal mache ich die beklemmende Situation noch ein bisschen beklemmender: Der Junge stellt fest, dass er mit seinem kleinen Bruder allein ist. Das bringt ihn in eine Lage, die selbst für viele Erwachsene zu viel wäre. Kein Wunder, dass der Junge in verzweifelter Wut den Gedanken denkt: „Wo sind die Eltern, wenn man sie braucht?!“

Das nächste Bild setzt den Jungen in den Kontext, den wir befürchtet haben: Da sind zwei Männer im Flur, und mindestens einer von ihnen sieht wirklich schurkisch aus. Mehr noch: Der Schurkische lässt, während der andere nur an der Beute interessiert ist (und also ein normaler, „anständiger“ Einbrecher), seiner Mordlust innerlich freien Lauf. In einer Gedankenblase erfahren wir, dass er offenbar schon Erfahrung mit dem „Umlegen“ von Menschen hat. Die Augenklappe, die er trägt, verleiht dieser Behauptung einiges Gewicht. Keine guten Nachrichten.

Das findet auch der Junge, der die beiden Gauner durch einen Türspalt kurz beobachtet hat. Er versteckt sich in Panik hinter dem Bücherregal in seinem Zimmer. Wie uns sinkt ihm der Mut immer weiter: Wenn das „Tock, tock“ im ersten Bild signalisierte, dass die schlimmsten Befürchtungen gleich wahr werden („das trockene Pochen des Schicksals“), was kann das zweite, sadistisch verlängerte „Tock, to-hock“, das aus dem Mund des Einäugigen kommt, dann bedeuten?

Tatsächlich läuft die Bild-Dramaturgie in den nächsten Einstellungen auf den schlimmstmöglichen Ausgang der Situation zu. Die Schlinge um unseren Hals zieht sich zu. Der Junge lässt alle Hoffnung fahren, als der Einbrecher eintritt. Angstschweiß bildet sich über seinen Brauen, und der mörderische Augenklappenträger frohlockt: Der Geruch von Angst lässt ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen. Damit dürfte entschieden sein, was gleich passiert …

Aber Moment, es bleibt eine Frage: Was ist mit dem kleinen Bruder?

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Robert Mattheis