Werbung. Machen wir das also? Wohl nicht, denn überall heißt es, die Werbung sei tot. Leichenfledderei wollen wir nun nicht betreiben! Bitte! Aber Marketing, Marketing ist es wohl, was wir tun, dient es doch dem Verkauf …
„Marketing“, das ist ein vorsichtigeres Wort als „Werbung“, ein besonneneres. Es ist natürlich auch ein schnöderes. Während die Werbung die Arbeitskleidung des Handwerkers trägt, trägt Marketing einen Maßanzug. Werbung hat einen abgenutzten Bleistift im Mund, Marketing ein Lächeln auf den Lippen.
„Kunst“, das wäre natürlich die Krönung, „wir machen Kunst“, was für ein stolzer Ausruf, aber Kunst zu behaupten, fällt schwer, wenn man nicht aus einer reichen Familie kommt, wenn man keinerlei Förderung erlebt, wenn man wohl nicht von der Hand in den Mund, aber von der Hände und des Mundes Arbeit lebt. „Kunst“, „wir machen Kunst“ – diese Behauptung muss man sich verdienen.
Wir machen Webseiten. Wir machen Filme. Ein Unterschied ist das nur im Medium. Weil alles so unüberschaubar geworden ist da draußen, müssen Webseiten wie Filme sein, wie Zeitschriften, wie Erzählungen. Kein Wunder, wenn Misstrauen aufkeimt gegen die ewig herbeizitierte „Story“, gegen das „Narrativ“, das in allen Dingen schläft wie früher, in romantischen Zeiten, ein Lied … Denn wahr ist ja auch: Während überall die Mikroerzählungen ins Kraut schießen, können wir uns als Gesellschaft, erst recht als globale, auf eine Makro-, Meta- oder Megaerzählung schon lange nicht mehr einigen. Deshalb vielleicht sind wir auch so verrückt nach all diesen kleinen Geschichten, die noch die Pistenraupe, das Parfüm und den Tacker beseelen: weil sie uns ablenken von einem tiefen anthropologischen Mangel – einem Mangel an Sinn, an Welt-Erzählung.
Im Gespräch mit Alexander Kluge hat der Soziologie Dirk Baecker erläutert, dass Welt für uns das ist, was im Gespräch entsteht.* Der Boden, auf dem wir stehen als geistige Wesen, ist Erzählung.
Man kann auch andere Paradigmen heranziehen: Unsere Webseiten wollen sein wie die Anzeigen, mit denen DDB für Volkswagen Werbegeschichte geschrieben haben**: Sie wollen auffallen, unterhalten, smart sein, das Produkt erklären – und das auf eine Art und Weise, die sich einprägt, Sympathie erzeugt und den Betrachter kurz den Atem anhalten lässt.
Mit anderen Worten: Wir sind verrückt.
* Alexander Kluge: Dieses Gerede oder Geschwätz, auf dem Schulhof, in der Familie als lebenslänglich liebevolles Reden, ist sozusagen ein Kokon.
Dirk Baecker: Die Leute spinnen sich darin ein, sie bestätigen sich wechselseitig ihre Realitätswahrnehmungen, die dadurch ausreichend Wirklichkeit bekommen, um sich auf sie verlassen zu können. Ich meine, ich habe ja keine andere Wirklichkeit als Ihre Bestätigung meiner Wahrnehmung unserer Wirklichkeit, vielleicht abgesehen von dem Gefühl, mit den Füßen auf diesem Boden zu stehen, von dem ich nicht weiß, wie lange er trägt. Ich meine, die tatsächliche Wirklichkeit ist unser Gespräch, unsere Fähigkeit, uns zu unterhalten.
(Alexander Kluge/Dirk Baecker, Vom Nutzen ungelöster Probleme, Berlin (Merve), S. 132.)
** Manchmal muss man halt auch klein denken, um Geschichte zu schreiben:
