Das Warum ist leer

Wer sagt, dass man Bestseller auch verstehen muss? Simon Sinek jedenfalls weiß genau, warum er das Warum für sich entdeckt hat: weil es eine Binse ist.

Ich habe hinter mir einige Bewerbungsgespräche bei Werbeagenturen in der Metropolregion. Manche live, manche remote. Zoom aber hat es immer gemacht. Die Inhaber sind an Werbung Nullkommanull interessiert. Kreativität? Haha! Sie sehen in ihren Agenturen Gelddruckmaschinen. Für sie ist das Schmiermittel, das die Pressen noch schneller rotieren lässt: Digitalisierung. Data Driven Marketing. Bei diesen drei Wörtern läuft einem CNO, einem Chief Networking Officer, das Wasser im Mund zusammen. Der Saft der Gier.

Das ist die Zukunft. Die Algorithmen wissen genau, vor welcher Kulisse der Durchschnittskäufer seinen VW Golf am liebsten sieht. Er weiß um die Feinheiten des Farbenspiels, das es braucht, um aus der Kaufabsicht einen Kaufzwang zu machen. Die Aufgabe des Grafikers? Die Vorgaben der Maschinenintelligenz umzusetzen. Den ganzen Ausdenk- und Ausprobier-Zirkus kannst du dir sparen, Junge!

Als ich noch mit dem C 64 herumgespielt habe, so vor vierzig Jahren, stieß ich auf den Begriff „Maschinensprache“. Damals konnten die nur Freaks. Heute sprechen wir sie alle. Wir reden miteinander wie mit Maschinen. Wir denken wie Maschinen. Wir sagen uns: „Hey, ist doch toll, wenn der Grafiker nur noch die Befehle einer KI umsetzen muss! Wo ist das Problem? So kommt er früher nach Hause!“

In ein Zuhause, dessen Kühlschrank das Smarthome unterdessen mit der Lieblingsbiermarke und allergenfreiem Fraß vollgestopft hat. Endlich kannst du dich voll auf die Hochzeitsplanung konzentrieren! Auf so einer Insel vor Afrika, vielleicht? Dann aber ist plötzlich eine KI auf dem Markt, die über die Konzeption hinaus gleich auch noch die grafische Umsetzung der Werbemittel besorgt. Und zwar, je nach Kundenwunsch, im Stil von Picasso, Albrecht Dürer oder George Lois. Wenn einer bereit ist, ein paar Tausender draufzulegen, droht die KI bei Meetings auch damit, widerspenstige, verbohrte Kunden aus dem Fenster zu werfen. Das lockert die Stimmung auf. Kaffeekochen und -servieren ist auf jeden Fall serienmäßig.

Kurz und gut, die Hochzeit fällt ins Wasser. Ein fettes „Platsch!“ vor der Küste Afrikas. Endlich Zeit, sich voll aufs Streamingangebot zu konzentrieren. Du bist deinen Job los. Ihr alle seid euren Job los. Bis auf die Chefs.

Die aus dem Fenster zu schmeißen, ist noch keine KI erfunden worden.

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Robert Mattheis