Storytelling braucht Storyteller

Viele von euch werden denken, die Headline oben beschreibe eine Tautologie. In Wahrheit aber beschreibt sie ein Problem.

Ich glaube, es gibt mittlerweile mehr Bücher über richtiges, erfolgreiches Storytelling als Piranhas im Amazonas. In der Theorie weiß jeder (und ich fasse mir da fröhlich an die Nase) alles besser. In der Praxis aber? Schalten wir meist ziemlich frustriert den Fernseher aus, wenn wir keine Binge-Junkies sind, die eh alles glotzen, wie ein Alkoholiker, der zur Not auch Rasierwasser trinkt.

Es ist ja auch alles supereinfach. Du brauchst: schillernde, vieldimensionale Charaktere. Hübsche, edle sowie widerliche, auch innerlich hässliche Figuren. Vor allem braucht es ein Beziehungsgeflecht der Handelnden, in dem sich tolle Ideen und spannende Ereignisse ganz von allein verfangen. Außerdem sollte man sich nicht zu schnell mit einem Plot zufrieden geben. Die Richtschnur in Sachen Plot lautet: schleifen, schneiden, schnickschnackschnuck, und das nicht zu knapp. Wichtig: Eine gute Idee ist noch keine Story. Genau wie ein Rückgrat noch kein Mensch ist, hahaha.

Storytelling ist eine Wissenschaft, so scheint es: Bestimmt gibt es inzwischen schon genaue Erhebungen darüber, wie viele Sekunden (resp. Seiten) Plot Twists voneinander entfernt sein müssen. Und dann: Dialoge. Wie oft, wie viele, wie lang? Kraftausdrücke? Gymnasiastensprech? Müssen sie geschrien werden oder eher wie vom Blatt gelesen klingen? Und, ganz schlimm: Wie gehen wir mit der Art um, wie die Kids „sprechen“, mit dem Argot der Straße?

Der Grundgestus der Storytelling-Weisen ist: „Njäää …“ Dann wird erst mal darüber doziert, warum etwas definitiv so nicht klappen kann, wie es gemacht worden ist, warum es nicht klappen wird, nicht klappen DARF. Eine langatmige Tirade, die sich bei ca. fünfzehn Bier bis Mitternacht hinziehen kann. Anschließend wird gemeinsam „Der Pate“ geschaut, dabei liegen das Drehbuch von Coppola und der Roman von Mario Puzo auf dem Tisch, zum Vergleichen.

Damit will ich sagen: Auch beim Fußball hat ja jeder, der schon mal vor einem Fernseher gesessen hat, meinungstechnisch die Nase vorn. Wie soll’s gehen mit einer Viererkette in der Abwehr? Oder der Sechser, ist der nicht zu offensiv interpretiert? Bla, bla, bla. Am Ende aber bleibt festzuhalten: Es gibt wahnsinnig viele Experten in Sportstudios und wahnsinnig wenig richtig gute Spiele auf dem Rasen. Die meisten Spiele sind einfach … die Drehbücher sind spannender als das, was dann auf dem Rasen geschieht. Wenn man in der Amazon-Doku „All or Nothing“ beispielsweise Pep Guardiola in der Kabine der Cityzens herumtoben sieht, auf und ab hüpfen, hämmernd die Taktiktafel malträtieren, dann hat das hundert Mal mehr Unterhaltungswert als die Distanzschüsse von Kevin De Bruyne oder das ganze Tikitaka vor den Distanzschüssen von Kevin De Bruyne.

Gutes Storytelling kann man vielleicht gar nicht lernen. Wie man auch aus einem Rumpelfüßler keinen Beckenbauer machen kann. Man kann lernen, ein guter Dramaturg zu sein, ein bisschen einschätzen zu können, was das Publikum will und was es verträgt, welche Passagen so langweilig sind, dass man sie unbedingt herausschneiden muss, und wo es das Ego des Autors etwas zu bändigen gilt.

Alles das ist eine Sache von Lebenserfahrung. Von Einfühlungsvermögen. Von Grips. Das kann man alles lernen, man kann es im Laufe der Jahre entwickeln und sich die notwendigsten Skills drauf schaffen, machen wir nicht allzu viel Wirbel drum.

Das Problem ist nur: Storytelling ist keine Wissenschaft. Storytelling ist eine Kunst. Und jede Kunst lebt weniger vom Bescheidwissen als von dem Mut, sich zu blamieren. Dinge zu tun, die ein vernünftiger Mensch niemals tun würde.

Und von denen dem Künstler später die vernünftigen Menschen erklären, warum er sie getan hat.

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Nando